BIKEPACKING JIZERKY

Text und Fotos: Martin Dinse

Jizerky ruft. Immer wieder. Und wir hören. Immer wieder. Es ist das letzte freie Wochenende im Juli und wir wollen die Gelegenheit für eine ausschweifende Runde durch Hochmoore und wilde Felsformationen nutzen, nicht zuletzt als kleine Generalprobe für eine anstehende deutlich größere Tour.

Jizerky ist der umgangssprachliche Name des Isergebirges, im Tschechischen Jizerské hory und im Polnischen Góry Izerskie. Dieses wunderschöne kleine Mittelgebirge kurz hinterm Dreiländereck Deutschland-Tschechien-Polen hat Mountainbikern viel mehr zu bieten, als nur das allseits bekannte und beliebte Trailcenter Singltrek pod Smrkem.

· Samstag ·

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Der erste lange Anstieg führt uns von Liberec vorbei an Bedřichov auf den Olivetska Hora. Der unspektakuläre Berg wird von erstaunlich vielen Radfahren frequentiert. Nach einer kurzen Rast stürzen wir uns hinab nach Hejnice, auf einer der längsten, ruppigsten und damit auch besten, wilden Abfahrten in unserer weiteren Umgebung. Unterarme versteinern. Fußsohlen brennen. Das Glühen der Synapsen manifestiert sich in leuchtenden Augen.

Eine Pause vorm Konsum später geht es in den noch längeren Anstieg zum Smrk, anfangs recht entspannt ansteigend, aber dann progressiv immer zäher werdend. Es deutet sich an, dass der Tag heute Körner kostet. Am Gipfel beginnt dann endlich der Wysoki Grzbiet auf polnischer Seite - der Hohe Iserkamm. Ein endlos undulierender Charakterwechselbalg von Bergpfad, der steinig beginnt, immer schmaler werdend zum Spielen einlädt und dabei schleichende Erschöpfung gekonnt ausblendet. Das folgende, ausgedehnte Torfgestocher durchs wurzelige Hochmoor und die letzte steile Rampe zum Abendbrotplatz kurz vorm Nachtlager geben uns so den Rest, dass wir uns im Wind klappernd trotz immer noch sommerlicher Temperaturen in sämtliche Klamotten-Reserven hüllen, um nicht schutzlos vor Erschöpfung auszukühlen, während wir beim Bier glücklich zurückblicken.

Für so manchen mag es albern klingen, für 1800 Höhenmeter auf 51 Kilometer zehn Stunden unterwegs zu sein und am Ende völlig erschöpft zu sein, aber die schweißtreibende Hitze und die viel zu kurze Nacht mit nur zweieinhalb Stunden Schlaf bildeten eine hervorragende Basis, sich richtig kaputt zu spielen. Nach dem Abendbrot am Aussichtspunkt rollen wir zur Schutzhütte und verkriechen uns schon gegen elf in die Schlafsäcke.

· Sonntag ·

Der zweite Tag beginnt früh, viel zu früh, als gegen vier Uhr nachts Regen einsetzt und feinst zerstäubt durch die offenen Oberlichter der Schutzhütte eindringt. Als das Dach durchgeweicht ist, fängt es auf unseren Schlafplatz zu tropfen an. Wir raffen uns auf und spannen das Tarp notdürftig über uns. Besser geschützt können wir den Schlaf fortsetzen, allerdings scheint es sich doch recht stabil eingeregnet zu haben, als wir am Morgen langsam munter werden. Da direkt vor der Abreise kein Regen in der Wettervorhersage vorkam, hat keiner von uns seine Schublebu* eingepackt, aber immerhin die Regenjacken sind dabei. Und wenigstens ist es so warm, dass nasse Unterhosen zu ertragen sein sollten.

Eine knappe Stunde später als angepeilt starten wir also in die Pitsche-Patsche-Trails. Wir haben den Hohen Iserkamm am Vortag keineswegs abgeschlossen, die knappe Hälfte bleibt uns noch. Und so wird direkt nach einem kurzen Besuch auf der unscheinbar höchsten Erhebung des Isergebirges, der Wysoka Kopa, als Frühstücks-Abfahrt ein herrlich stocheriger Wurzelsalat mit reichlich Soße serviert, die sich bald auch in den Schuhen wiederfindet.

Ein Abschnitt auf nun wieder steinigen Pfaden und Pisten führt uns zu einem namenlosen Nebengipfel des Wysoki Kamien am Wegesrand. Nach einer kleinen Kraxelei erblicken wir eine etwas deplatziert wirkende Taube auf dem Felsen direkt vor unserer Nase. Der harrende Piepmatz und der Fakt, dass der Felsen bisher auf keinen Namen zu hören scheint, veranlassen mich, ihn Gluchy Kamien zu taufen - den Tauben Stein. Von hier bietet sich eine epische Aussicht über mystisch nebelverhangene Wälder zum mächtig wirkenden Riesengebirge.

Was folgt, ist das Ende des Bergkamms in Form der nächsten schnellen, rumpeligen Schussfahrt.

Über einen wellig ansteigenden, verspielten Pfad, abermals gespickt mit Wurzeln und Steinen, erreichen wir mit Szklarska Poreba zunächst einen Kulturschock, der sich in Touristenmassen und Verkaufsbuden manifestiert und uns in die Flucht schlägt, bevor wir über eine Pause nachdenken können. Eine etwas langweilige Transfer-Strecke bringt uns stattdessen ins Berg-Idyll Orle, wo wir zum frühen Nachmittag auf Pierogi, Pyzy und Piwo einkehren. Die Regenjacken sind mittlerweile wieder abgelegt und man kann bequem im Freien Platz nehmen. Beim Blick auf die Uhr erschrecken wir etwas. Offenbar haben wir die Länge der Etappe etwas unterschätzt und nun bleibt zum Bummeln und Schweifen kaum noch Zeit. Mit oder ohne Abkürzungen ist nur noch der letzte Zug des Tages in realistischer Reichweite.

Ein kurzes Trail-Intermezzo zum Nachtisch und schon steht die nächste, steigungsbetontere Transfer-Passage auf dem Plan. Das zentrale Isergebirge bietet leider nicht viel an spannenden, erlaubten Trails, aber als Trost gibt es malerische Landschaft. Bei Bedřichov erreichen wir dann endlich die Südflanke des Gebirges. Uns bleiben gut 400 Höhenmeter nach Liberec, durchsetzt mit einer reichhaltigen Auswahl an spannenden, steinigen Wanderwegen und ebenso spannenden, wurzeligen Trails, die offenbar in Eigenregie von und für Mountainbiker markiert wurden. So treffen wir nach etwa der Hälfte der Abfahrt zwei gastfreundliche Tschechen, die uns gerne ins Schlepptau nehmen, um uns noch einen Trail zu zeigen. Nachdem sich die kleine Gruppe kurz verliert und wiederfindet, fahren wir die letzten Meter wieder alleine ab und rollen euphorisiert und nach knapp 70 Kilometern und gut 1400 Höhenmetern abermals erschöpft zum Zug in die Heimat.

Danke Jizerky und bis zum nächsten Mal, ahoj!

*Schublebu steht kurz für Schutzblech-Buxe, eine funktionell-metaphorische Bezeichnung kurzer Regenhosen

Die Fotos dieser Tour sind auch in einem Album auf Flickr zu finden.

Juli 2016 · allmartn.de