Das Karl-Ranseier-Raubelwalzer-Quintett

~ Zum Leben und Werk des Nilěm Boblyč ~

Ergebnisse kulturhistorischer Forschungen von Eyk Deutschmann


Als Gründungsmitglied des Raubelwalzerquintetts war Eyk Deutschmann seit je her fasziniert von der historischen Figur des Nilěm Boblyč. Viele Geschichten, ja eher schon Mythen ranken sich um seine Person. Unvergessen ist seine Durchquerung des Hochmoors am Pramenáč am 17. Dezember 1860 zur Nachtzeit bei hoch winterlichen Bedingungen mit dem Fatbike. Nur ist kaum etwas über das wirkliche Leben dieses großen Entdeckers bekannt. Sein Tun und Leben beschäftigten Eyk über viele Jahre, doch war es stets sehr beschwerlich mehr Informationen über diese außergewöhnliche Persönlichkeit zu erlangen. Deswegen begab er sich vor geraumer Zeit auf eine Forschungsreise in das Böhmische Becken und studierte alte Kirchenregister, um mehr über Boblyč zu erfahren.



Historisches Bildnis Nilěm Boblyčs in Cínovec

Geboren wurde Nilěm Malo Tlak Boblyč, wie er mit vollem Namen hieß, in Domaslavice am Fuße des östlichen Erzgebirgskamms am 3. März 1783. Sein Vater Vlasenko Boblyč betrieb einen kleinen Stollen bei Cínovec, in dem er bis 1807 eine leidliche Menge Kassiterit gewann, um der Familie ein Zubrot zu erwirtschaften. Des Nachts schnitzte er traditionelle Holzfiguren als Weihnachtsschmuck.

Über seine Mutter hingegen ist kaum etwas bekannt. Ihr Name war Irena Vlasta Boblyčova und vermutlich besserte sie das kärgliche Einkommen der Familie durch Stricken von Bommelmützen auf.

Nilěm Boblyč verbrachte seine gesamte Kindheit in Domaslavice und ernährte sich seinen Geschwistern zu liebe hauptsächlich von Moosen und Flechten, da das Einkommen der Eltern nicht reichte, um für alle Kinder Brot zu backen.

Er besuchte die Cihla Škola des Kartäuserordens in Meziboří und da alle Lehrtafeln aus gebranntem Lehm bestanden, fuhr er seine Unterrichtsmaterialien jeden Tag mit einem Schubkarren die gesamte Strecke zur Schule und zurück. Das dürfte in etwa die Zeit gewesen sein, in der sich Boblyčs Passion für Niederdruckreifen ausprägte. Der tägliche Weg mit dem Schubkarren hinterließ auch bald Spuren an Boblyčs Körper. Nach nur wenigen Jahren hatte sich ein beträchtlicher Buckel ausgeprägt, welcher Boblyč nicht unwesentlich in seiner Lebensführung beeinflusste. Dieser Buckel kostete ihn entscheidende Zentimeter an Körpergröße und in Verbindung mit seiner mageren Ernährung war er ein regelrechter Krischperl, was sich zeitlebens nicht ändern sollte.

Doch gerade dieser Umstand seines persönlichen Leids und Leidens sollte für die Menschheit späterhin von beachtlicher Bedeutung sein.

Des Schubkarrenschiebens müde entwickelte der Dreizehnjährige Nilem Malo Tlak Boblyč nämlich das erste Fatbike für den Schulweg im meist tief verschneiten Erzgebirge. Obgleich seine Reifen noch aus aufgeblasenen Kuhdärmen bestanden, nannte er sie „pneumatika guma na kole velice měkký“, da längst klar war, wohin der Hase läuft. Auch das Tschechisch unseres Protagonisten mag uns mitunter etwas eigen vorkommen, nur dürfen wir nicht vergessen, dass Boblyč aus einem kleinen böhmischen Bergdorf stammte und nicht an die Sprachevolution des städtischen Hochschulwesens angebunden war. Boblyč hatte es trotz bester Voraussetzungen nie zu einem Abschluss an der Cihla Škola gebracht, da er im Entdeckerdrang nur all zu oft vom Schulweg abgekommen war und sich den lieben langen Tag mit seinem Fatbike an der Loucna bei Dlouhá Louka die Zeit vertrieb, indem er auf Wapitijagd ging. Vorteilhafterweise behielt Boblyč seine Flechtenernährung bei und war so nicht zwingend auf ein geregeltes Einkommen für sein Auskommen angewiesen.

Einen furiosen Start in die Entdeckerlaufbahn unternahm Boblyč als Siebzehnjähriger am 07. Mai 1800, als er gegen zwölf Uhr mittags per horském kolem die Erstbefahrung des Milešovka vollzog und in der Abfahrt beinahe Alexander von Humboldt am Ausblick zum Biliner Löwen überfahren hätte.

Aus etwa dieser Zeit stammt auch das einzige Bildnis Boblyčs, welches uns erhalten geblieben ist.

Wahrscheinlich ist es im September 1801 am Lovos entstanden als der damals sechsundzwanzigjährige Caspar David Friedrich seinen berühmten Blick zum Milesovka malte. Da Boblyč seinen neuen Vorderreifen schonen wollte, fuhr er den gesamten Anstieg zum Lovos auf dem Hinterrad. Dies beeindruckte Friedrich derart, dass er seinen Keks beiseite legte und jenes heute so wichtige Zeitzeugnis anfertigte. Momentan wird dieses Bild im Rahmen einer Freilichtausstellung in Cínovec unter dem Arbeitstitel „Vergessene Entdecker unter Dimpeln“ gezeigt. Das Bild selbst versah Friedrich mit der Note „Firlefanz im Phonolith“. Leider ist dem Kurator der Ausstellung beim Installieren jenes Werkes ein Fehler unterlaufen, da er sich nicht hinreichend mit der Entstehungsgeschichte des selbigen befasst zu haben scheint. Es mutet nun an, als würde Boblyč gemächlich in der Ebene dahinfahren, obgleich im Kirchenregister von Milešov eben jene erwähnte Begebenheit urkundlich verbürgt ist, dass nämlich Nilem Malo Tlak Boblyč den gesamten Anstieg im ersten überhaupt nachgewiesenen Powerwheelie bewältigt hatte.

Dieses kunst- wie auch kulturhistorisch so bedeutungsvolle Bildnis wird seinen wahren Wert wohl erst in einigen Jahren beigemessen bekommen, wenn meine Forschungsergebnisse zu Boblyčs Leben als Enzyklopädie vorliegen werden.

In den darauf folgenden Jahren fielen sämtliche Gipfel Böhmens und Mährens, wobei Boblyč den größeren Wert auf Winterbefahrungen legte. Einen festen Wohnsitz hatte Boblyč zu dieser Zeit nicht. Des Nachts befestige er stets ein großes linnenes Tuch aus Nimes an seinem Buckel zum Zwecke des Wetterschutzes.

Zu seinen größten Taten zählt wie eingangs bereits erwähnt die Durchquerung des Hochmoors am Pramenáč am 17. Dezember 1860. Ein letztes Aufbäumen der kleinen Eiszeit ließ diesen Winter 1860/1861 als einen der grausamsten in die Geschichtsbücher eingehen. Nachttemperaturen unter 35 Grad Kälte setzten Mensch und Vieh gleichermaßen zu und Nahrungsmittel wie auch Brennholz waren knapp. Es lag so viel Schnee, dass es nicht möglich war, Brennholz im Niederwald zu schlagen, da selbst die oberen Triebe von Hainbuche und Linde unter dem Schnee begraben lagen. Die Bewohner von Domaslavice standen kurz vor dem Verhungern und eine Lösung war nicht in Sicht. Da ging die Nachricht, dass es beim Wirt der horska chata Mikuláška noch große Mengen pečený pstruh se hranoulky gab, da dieser einen gewaltigen Vorratskeller besaß.

Als Dorfältester und erfahrener Abenteurer sattelte Nilěm Boblyč am Abend des 17. Dezember 1860 bei Sturm und 40 Grad Kälte sein Fatbike, um Nahrungsmittel für die Bewohner von Domaslavice zu holen. Unglücklicherweise verlor Boblyč im Schneesturm die Orientierung und kam nach Osten vom Kurs ab, so dass er sich weit nach Mitternacht auf dem Gipfel des 692m hohen Spáleniště wiederfand. Er verringerte darauf hin den Druck in seinen Reifen aufs Äußerste und wagte, was bis dahin noch niemand gewagt hatte. Er setzte einen schnurgeraden Kurs durch das Hochmoor am Pramenáč bis zur Mikuláška und kämpfte sich auf einer 6 Meter mächtigen Schneedecke tatsächlich bis zum Wirtshaus durch, wo er im Morgengrauen anlangte. Er belud einen massiven Lastenschlitten aus Eschenholz mit großen Mengen gebratener Forelle und Pommes Frites, band diesen an sein Fatbike und brachte auf diese Weise der hungernden Dorfbevölkerung die rettenden Nahrungsmittel.

Ein letztes Husarenstück gelang Boblyč am 11. Juli 1865 während eines Aufenthaltes in der Schweiz. Zwei Tage vor der Erstbesteigung des Matterhorns durch Edward Whymper, Lord F. Douglas, Croz, Peter den Älteren und seinen beiden Söhnen, Hadow und Charles Hudson mit bekannt tragischem Ausgang befuhr Nilem Malo Tlak Boblyč unbemerkterweise den Hörnligrat aufwärts wie abwärts mit dem Fatbike und bekannte sieben Jahre später auf seinem Sterbebett, dass dies gleich nach der Durchquerung des Hochmoors am Pramenáč seine schwierigste Erstbefahrung war.


Dies ist eine vorläufige Zusammnenfassung der Ergebnisse einer ersten Forschungsreise ins Böhmische Becken auf den Spuren von Nilem Malo Tlak Boblyč. Leider war Eyks Zeit im ehemaligen Wirkungskreis Boblyčs sehr beschränkt, da ihn andere Verpflichtungen im Sinne der Hygroskopieforschung den Sommer über in den Alpen in Beschlag nahmen. Es war jedoch bereits in diesen wenigen Wochen Forschungszeit ersichtlich, dass eine weitere Reise nach Horní Jiřetín und Klíny unabdingbar sein wird, da sich immer mehr Hinweise verdichtet haben, auch in jenen Kirchenregistern Unterlagen über das Leben Boblyčs finden zu können.


Eyk Deutschmann, November 2014  


Die historischen Untersuchungen zum Leben, Schaffen und Wirken des Nilěm Boblyč dauern weiter an. Das Forscherteam des Karl-Ranseier-Raubelwalzer-Quintetts ist Jahr für Jahr unterwegs um Hinweise und Spuren zu verfolgen. Neue Erkenntnisse werden in unregelmäßigen Abständen auf dieser Seite veröffentlicht.